LEITRA-Tour vom 24. Juni bis zum 2. Juli 2002

zur Europäischen HPV-Meisterschaft nach Lelystad/NL

von Jürgen Eick

1. Tag, Montag, 24. Juni 2002 (199 km mit 18,8 km/h durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit)

(Königstädten-Mainz-Koblenz-Sinzig-Heimersheim-Gimmingen-Leimersdorf-Fritzdorf-Adendorf-Meckenheim-Moorenhoven-Dünstekoven-Heimerzheim)

Um 7.05 Uhr Start. Wie meistens, wenn es am Rhein entlang gehen soll, fahre ich in Mainz am Ende der Rheinallee nördlich von Mombach in die Kleingartenanlage. Die übliche Holperstrecke habe ich ja erwartet, nicht jedoch eine große Straßenbaustelle am Ortseingang von Budenheim, die völlig unbefahrbar ist und mich zwingt, die voll gepackte Leitra eine ziemlich lange Strecke vor mir her zu schieben, bevor ich wieder auf befahrbares Terrain komme. Kein Hinweisschild weit und breit, dass auf diese für Radfahrer praktisch unpassierbare Stelle hingewiesen hätte.

Durch die Ingelheimer Au komme ich anschließend zügig voran und strapaziere schon bald meine Federung bei der Ortsdurchfahrt Bingen. Von Jahr zu Jahr macht sich die Finanznot der Städte deutlicher an den Belägen der Straßen im innerstädtischen Bereich bemerkbar. Manchmal sind es sogar tiefe und scharfkantige Löcher im Asphalt, die nicht ausgebessert werden, ganz zu schweigen von den fast immer tief eingesunkenen oder übermäßig hoch stehenden Deckeln der Kanal-Revisionsschächte.

Hinter Bingerbrück biege ich nicht, wie üblich, auf den Rheinuferweg ab, sondern bleibe auf der B9, auf der um diese Zeit bis Bacharach wenig Autoverkehr herrscht. Auf dem Parkplatz am Rheinufer in Bacharach gönne ich mir eine Pause und werde sogleich von einer Ladung Bustouristen aus Süddeutschland „überfallen“, denen ich umständlich auseinander setzen muss, dass ich nirgendwo in meiner Leitra einen Motor versteckt habe. Das Wetter ist wunderschön mit herrlichen weißen Wolken am blauen Himmel. Der Wind, der hier auf der stark gewundenen Rheinstrecke mal von hinten, mal von vorn weht, kann mir nicht viel anhaben, so dass ich jeden Radfahrer, der vor mir auftaucht, mühelos überholen kann.

Zwischen St. Goar und Hirzenach sind immer noch nicht die Sicherungsarbeiten an der Bahnstrecke abgeschlossen, die in großem Stil in Gang gesetzt wurden, als ein Bergrutsch vor etlichen Monaten die Rheinstrecke kurzzeitig blockierte. Der Bahnverkehr läuft nach wie vor eingleisig ab. Die Arbeiter hängen wie Felskletterer an Seilen und bohren in den Fels Löcher für Tausende Stahlanker, an denen Stahlnetze befestigt werden, die sich großflächig über die Felsen legen. Vor St. Goar, gegenüber der Loreley, ist inzwischen ein weiteres großes Stück Radweg fertiggestellt, für das extra eine Galerie über dem Rheinufer betoniert werden musste. Jetzt fehlt zwischen Oberwesel und St. Goar nur noch ein kurzes Stück Radweg, für das offensichtlich das Geld bei der beschriebenen Baumaßnahme nicht mehr gereicht hat.

In Rhens fülle ich mir vor der Sprudelfabrik meine beiden Getränkeflaschen mit Original-Sprudelwasser an einem kleinen Brunnen im Eingangsbereich der Fabrik, aus dem das Wasser in unregelmäßigen Abständen durch die Kohlensäure heraus geblasen wird. Das Füllen dauert einige Zeit, in der ich eine Erinnerungstafel lesen kann, mit der auf die große Vergangenheit dieses Platzes als Wahlort für deutsche Könige erinnert wird. Immerhin sind auf dem Königstuhl zu Rhens alle deutschen Könige zwischen 1400 (Ruprecht von der Pfalz) und 1486 (Maximilian) von den sieben Kurfürsten gewählt worden, von denen vier hier mit ihren Hoheitsgebieten aneinander grenzten (Kurköln mit Rhens, Kurmainz mit Lahnstein, Kurtrier mit Kapellen-Stolzenfels und Kurpfalz mit Braubach).

In Koblenz gönne ich mir auf der Rheinpromenade ein Eis und werde dabei von der Fahrerin eines Fahrradtaxis angesprochen, die mit ihrer in China gebauten Rikscha auf Passagiere wartet. Dabei erfahre ich, dass das neu gegründete Unternehmen Biergartentouren, Fahrten zur Kirche für Senioren, Partytouren und auch Businesstouren anbietet. Für 5,00 € werden bis zu drei Kinder 15 Minuten rund ums Deutsche Eck kutschiert. Innenstadtfahrten kosten 2,50 € pro Person je angefangene Viertelstunde und für 40,00 € werden exklusive Horchzeits- und Jubiläumsfahrten durchgeführt. Hauptproblem ist laut Aussage der „Taxlerin“ außer den erwarteten Akzeptanzproblemen bei der Markteinführung die ablehnende Haltung der normalen Taxibetriebe, die sich heftig gegen diese für Koblenz neuartige Konkurrenz wehren (Bild 1).

Bild 1: Fahrradtaxi in Koblenz

Zwischen Namedy und Brohl hat man wegen Rohrverlegungsarbeiten den Radweg durch Sperrgitter auf knapp einen Meter Breite eingeengt. Das kann ich ohne nachzumessen angeben, weil meine Leitra nur durch Schieben durch diese etwa 150 Meter lange Gasse gezwängt werden kann. Dabei werde ich wüst von einem Mann in meinem Alter beschimpft, der mit seinem Fahrrad hinter mir ein wenig warten muss und mich lauthals als Provokateur und Behinderer des normalen Straßenverkehrs bezeichnet. Ich lasse mir von ihm aber nicht den schönen Tag verderben, sondern fahre ihm einfach davon, nachdem die Engstelle überwunden ist.

Die Führung der mit grünen Markierungsschildern gekennzeichneten Rheintal-Radroute, der ich mich in Brohl kurzzeitig anvertraue, wurde, wie so oft, durch zwei Hindernisse in Form von übermäßig engen Umlaufsperren („Drängelgitter“) an einer Bahnunterführung für Fahrräder mit breiten Gepäcktaschen oder gar mit Kinderanhänger nahezu unpassierbar gemacht. Ich muss mir diese Stelle unbedingt merken und nächstens den beschrankten Bahnübergang ein paar hundert Meter rheinaufwärts benutzen.

In Sinzig verlasse ich das Rheintal und fahre ein paar Kilometer längs der Ahr auf dem Ahrtalradweg bis kurz vor Bad Neuenahr. Jetzt, am Spätnachmittag, steht mir der Anstieg auf die etwa 200 Meter höher liegende Hochfläche der Ville bevor. Ich gehe ihn ganz geruhsam an. Oben sind noch einige Kilometer zurückzulegen, bevor ich am Hotel Klosterstuben in Heimerzheim kurz nach 19 Uhr die Leitra abstellen kann. Die zur Zeit stattfindende Fußballweltmeisterschaft treibt abends ein gutes Dutzend verhinderte Fußballtrainer an den langen Tresen. Die Hähne für Pils und Kölsch könnten eigentlich dauernd geöffnet bleiben, wenn nicht ab und zu neue Gläser heran geschafft werden müssten. Als ich mit dem Essen fertig bin, erreicht die Lautstärke der Strategiediskussionen einen Pegel, der mich zum Rückzug auf mein Zimmer zwingt.

2. Tag, Dienstag, 25. Juni 2002 (121 km mit 17,6 km/h durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit)

(Heimerzheim-Metternicht-Weilerswist-Köttingen-Türnich-Horrem-Quadrath-Ichendorf-Oberaußem-Niederaußem-Neurath -Frimmersdorf-Gindorf-Gustorf-Orken-Schloß Dyck-Glehn-Kleinenbroich-Eickerend-Schiefbahn-Willich-Inrath-Niep-Moers)

Heute habe ich genug Zeit, um immer mal wieder anzuhalten und mir irgendwelche Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Am Abend will ich mich im Hotel „Haus Niederrhein“ an der nördlichen Stadtgrenze von Moers mit Reinhold, German und Joachim treffen, die am Montag in Biebertal bei Gießen mit ihren Cab-Bikes gestartet sind und via Betzdorf, Hennef, Neuss und Krefeld kommen wollen. Schade, dass ich Rainer, meinen alten Jugendfreund, vor meiner Abfahrt telefonisch nicht erreichen konnte. Wir hätten sonst möglicherweise ein Treffen in Willich bei Krefeld vereinbaren können, wo er am Aufbau eines Museums für historische Lastkraftfahrzeuge mitarbeitet.

Jetzt bummle ich gemütlich zunächst am Swistbach und später an der Erft entlang bis Türnich, wo ich links zum Schloss abbiege, das in einem großen englischen Park liegt. Es beherbergt ein „Institut für Elementdiagnostik“, das sich mit der „ umfassenden Analyse der Konzentration von Mineralstoffen und Spurenelementen in Haaren und Urin“ befasst, wie ich später dem Internet entnehme. Jedenfalls ist es Privatgelände und damit einer Besichtigung nicht zugänglich. Ich mache ein Foto von dem etwas renovierungsbedürftigen Bau und fahre weiter (Bild 2).

Bild 2: Schloss Türnich

Den Blick auf den fast wieder verfüllten ehemaligen Tagebau Frechen vom dafür vorgesehenen Aussichtspunkt lasse ich auch nicht aus. Hier, wo früher einmal der Mittelpunkt des Ortes Mödrath war, der später dem Braunkohlentagebau geopfert wurde, habe ich am 18. Juli 1996 mit meiner Frau Ulla gestanden, als wir auf Leitra-Tour zu den HPV -Europameisterschaften nach Leicester waren. Damals haben wir noch in ein tiefes Loch schauen können. Inzwischen ist der Tagebau komplett wieder verfüllt und man ist gerade dabei, das große Löß-Lager abzutragen und mit einem Absetzer auf die Fläche aufzubringen, damit die Neuanpflanzungen vervollständigt und die Landwirtschaftsbetriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen können. Unmittelbar neben dem Aussichtspunkt ist ein großer Pferdehof mit in sattem Gelb gehaltenen Gebäuden neu entstanden.

In Quadrath-Ichendorf halte ich an einem Stein mit einer Gedenktafel, obwohl ich leicht hätte erkennen können, dass mich vor dem Lesen dieser Tafel erst einmal zwei kleine türkische Buben mit Beschlag belegen würden, die aus der Schule kommen. Ihre interessierten Fragen ausführlich zu beantworten ist ein Gebot der Höflichkeit. Ohne Schwierigkeiten löse ich mich aber aus ihrer „Umklammerung“, als ich sie nach der Bedeutung der Tafel frage, die auf die Bergbau-Vergangenheit des Ortes hinweist. Ihr Interesse an mir schwindet sofort.

Nach Oberaußem geht es zunächst einmal etwa 60 Höhenmeter steil bergauf zum Rand des ehemaligen Tagebaus Fortuna. Vor Oberaußem überquere ich eine Trasse des weit verzweigten firmeneigenen Bahnnetzes der „Rheinbraun“, die auf diesen Gleisen mit Zügen besonders großer Tragfähigkeit Braunkohle und Abraum transportiert. In Niederaußem verlasse ich vor dem Kraftwerk längere Zeit meine Leitra, um eine günstige Position für ein Foto vom noch nicht in Betrieb befindlichen BoA-Block zu machen (Braunkohlenverstromung mit optimierter A nlagentechnik). Obwohl ich eigentlich kein Freund von Gigantomanie bin, fasziniert mich immer noch die Technik des Braunkohlenabbaus und seiner Verstromung, die meinen ganzen Berufsweg seit meinem Praktikum im Dampferzeugerbau, vor Aufnahme meines Maschinenbau-Studiums, bis zum Ausscheiden aus dem Schwerpunkt Energietechnik an der FH Wiesbaden begleitet hat. Dieser Kraftwerksblock von nahezu 1000 Megawatt elektrischer Leistung und einem Kohleverbrauch von mehr als 1100 Tonnen pro Stunde soll mit dazu beitragen, den Braunkohleabbau im rheinischen Revier auf Dauer zu sichern. Wenn der Block im Laufe dieses Jahres in Betrieb geht, wird die gesamte Kraftwerksleistung allein in Niederaußem 3850 Megawatt betragen, was der Leistung von 2570 Windkraftwerken von je 1,5 MW entsprechen würde. Das Kesselhaus ist 172 m hoch (Bild 3) und der Kühlturm 200 m (Bild 4). Mit den investierten 2,7 Milliarden DM ist ein Kraftwerksblock entstanden, der 43% der eingesetzten Kohle-Energie in Strom umwandeln wird. Das ist ein Wirkungsgrad, der mit der mehr als 50 Gewichtsprozent Wasser enthaltenden Rohbraunkohle früher für unerreichbar gehalten worden wäre. Erstmalig wird nämlich die Rohkohle mit der Abwärme des Kraftwerks getrocknet, bevor sie der Verbrennung zugeführt wird.

Bild 3: 172 m hoch ist die Kesselanlage des BoA-Blocks

Bild 4: Blick auf das Braunkohlekraftwerk Niederaußem mit Kessel (links), Kühlturm (Mitte), und Kamin (rechts angeschnitten) des 1000 MW-BoA-Blocks. Dahinter die beiden alten 300 MW-Blöcke

Nur sechs Kilometer vom Kraftwerk Niederaußem in nordwestlicher Richtung entfernt steht auf einer leichten Anhöhe das Kraftwerk Neurath (Bild 5) und weitere vier Kilometer dahinter an der Erft das Kraftwerk Frimmersdorf. Auch diese Kraftwerke habe ich im Laufe der Jahre auf Exkursionen mit meinen Studenten besucht. Das Wetter ist relativ warm, so dass die Kühlturmschwaden sich ein paar hundert Meter über den Kühltürmen bereits verflüchtigt haben.

Bild 5: Braunkohlekraftwerk Neurath

Grevenbroich umrunde ich westlich über Gustorf und Orken. Wenig später erreiche ich Schloss Dyck, wo in diesem Jahr die Landesgartenschau von Nordrheinwestfalen stattfindet. Ich mache eine kurze Pause, um etwas zu essen, fahre aber nicht bis vor das Schloss, weil mir der Platz zu stark bevölkert ist. Auch an dem wunderschönen Café ganz in der Nähe, in dem wir seinerzeit auf unserer Rückfahrt aus Leicester große Portionen Eis genossen haben, fahre ich vorbei.

In Kleinenbroich muss ich mich wieder einmal durch zwei enge Umlaufsperren in einer Bahnunterführung hindurch zwängen. Auf dem Weiterweg werde ich von einem Autofahrer angehalten, der mich mit seinem Wagen kurz vorher überholt hatte. Er stellt sich als Vorsitzender der ADFC-Ortsgruppe Grevenbroich vor und ist gerade auf dem Weg zu einer Besprechung von Vertretern verschiedener ADFC-Ortsgruppen des Kreises Neuss, die gemeinsam eine Broschüre „Rad am Rhein“ heraus geben, von der ich ein Exemplar zum Abschied erhalte. Darin finde ich später einen interessanten Vergleichstest von digitalen topografischen Karten, wie sie von den Landesvermessungsämtern vertrieben werden. Mit Beruhigung kann ich feststellen, dass meine 1:50.000 Karte von Hessen in der Version TOP50, die auch für alle anderen Bundesländer verfügbar ist, in wesentlichen Punkten der MagicMaps-3D-Version überlegen ist, die von der EGISYS AG in Tübingen für Bayern und NRW herausgegeben wird. Ich revanchiere mich beim ADFC-Kollegen mit einem Info-Blatt der Leitra, lasse mir noch eine landschaftlich schöne Route nach Willich erklären und fahre wieder los, nachdem bei dem Gespräch fast eine Stunde wie im Flug vergangen ist.

Bei Schiefbahn lande ich im beginnenden Feierabendverkehr an der Kreuzung zweier stark befahrener Straßen, an der die Ampel ausgefallen ist. Acht Minuten muss ich warten, bis ich endlich eine Chance nutzen kann, die Kreuzung ohne Kollisionsgefahr zu überqueren. Dann geht es weiter Richtung Willich. Am Stadtrand von Krefeld überquere ich die B57 an einer Stelle, an der mir eine Gedenksäule (Bild 6) auffällt, deren Text ich mir notiere:

Herzog Ferdinand von Braunschweig, kgl. preuss. General der Infanterie, besiegte hier, am 23. Juni 1758, mit 33.000 verbündeten Preussen, Hannoveranern, Braunschweigern und Hessen den Prinzen Louis von Bourbon-Condé, Grafen von Chermont mit 47.000 Franzosen

Bild 6: Gedenksäule für die Schlacht bei Krefeld am 23. Juni 1758

Hierzu finde ich im Internet später den Hinweis:

Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg (1721-1792), der Schwager Friedrichs des Großen, stand seit 1740 im preußischen Dienst. Im Siebenjährigen Krieg kommandierte er seit November 1757 die sogenannte Combinierte Armee. Diese Armee, bestehend aus dem hannoverschen Heer und norddeutschen Soldtruppen, hatte erst zwei Monate zuvor kapituliert. Sie wiederaufzubauen und zur Verteidigung Hannovers und Hessens gegen die französischen Invasionstruppen an der Westflanke Preußens aufzurichten, war die Aufgabe des Herzogs. Durch seine Siege bei Krefeld (23. Juni 1758) und bei Minden (1. August 1759) und die erfolgreiche Verteidigung Hannovers (1761) band er französische Kräfte auf dem Kontinent und sicherte damit die englischen Erfolge in Amerika. 1759 wurde ganz Kanada britisch, und Frankreich verlor überdies alle Stützpunkte in Südindien.

Zwischen Krefeld und Hüls verfahre ich mich so gründlich, dass mir die ADFC-Karte im Maßstab 1:150000 nicht mehr weiter hilft und ich mehrfach fragen muss, bis ich endlich auf der Moerser Straße lande, die mich, ihrem Namen nach zu urteilen, nach Moers bringen müsste. Die Moerser Innenstadt ist fest in türkischer Hand. Die Türkei hat Südkorea im Fußball besiegt. Ein Korso von Autos mit Halbmond-Flaggen verstopft die Straßen.

Glücklicherweise fahren Türken nicht übermäßig häufig Fahrrad. Deshalb stehen mir die Radwege offen und ich bin kurze Zeit später an dem Hotel angelangt, wo die drei Cab-Biker schon seit zwei Stunden auf mich warten.

3. Tag, Mittwoch, 26. Juni 2002 (145 km mit 22,4 km/h durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit)

(Moers-Rheinberg-Xanten-Wardt-Vynen-Obermörmter-Niedermörmter-Grieth-Emmerich-Elten-Zevenaar-Duiven-Arnhem -Schaarsbergen-Otterlo-Harskamp-Stroe-Garderen-Speuld-Harderwijk)

Jetzt ist es aus mit meiner Bummelei. Bei der jungen Firma Cab-Bike gibt es noch keine Rentner. Kurz nach der Abfahrt springt zwar bei Joachim die Kette ab und mir werden dadurch noch ein paar Minuten Aufschub gewährt, doch dann geht es in zügiger Fahrt und ohne längeren Halt über Rheinberg und Xanten (Bilder 7) bis Niedermörmter, wo wir uns in einem Lebensmittelladen versorgen. Kurze Zeit später treffen dort zwei Naumburger Radler (Vater und Sohn) ein, die sich die Flussradwege in Westdeutschland vorgenommen haben und in diesem Jahr auf die zweite Hälfte des Rheinlaufs programmiert sind. In Hoek van Holland wollen sie sich von ihren Frauen per Auto abholen lassen. Vorhin, als wir sie überholten, amüsierten sie sich köstlich über unsere Fahrzeuge. Jetzt zeigen sie aber doch wachsendes Interesse, vor allem wohl deshalb, weil wir nach kurzer Zeit so weit voraus waren.

Bild 7: Kurzer Halt vor Xanten mit dem Dom im Hintergrund

Aus dem „Schnellen Brüter Kalkar“ ist inzwischen das „Kernwasser Wunderland“ geworden. Wer hätte es in der Zeit der AKW-Hochkonjunktur für möglich gehalten, dass ein Spitzenprojekt deutscher Kernkraftwerkstechnik einmal so schnell in Vergessenheit geraten würde. Ob sich die Umwandlung in ein Freizeitzentrum für den Käufer gelohnt hat?

Meine Mitfahrer machen nicht einmal auf der Rheinbrücke von Emmerich halt, um einen Blick auf den Strom zu werfen. Erst in Elten, kurz vor der holländischen Grenze, parken wir unsere Velomobile vor einem Gasthof, in dem Reinhold früher schon einmal gut gegessen hat. Doch der Besitzer scheint gewechselt zu haben. Bis der Kellner zum ersten Mal an unserem Tisch erscheint, hat sich German bereits komplett umgezogen, sein Cab-Bike mit der tropfnassen Wäsche geschmückt und etlichen Passanten ausführlich Rede und Antwort zum Velomobil gestanden. Wir werden, bis unser eher dürftiges Essen bestellt, zubereitet, gebracht und abkassiert ist, nahezu zwei Stunden vor dem Hotel in der Sonne pausieren, Grund genug, mit nur einem einzigen Zwischenstop, an einer Tankstelle hinter Arnhem, bis Harderwijk durchzufahren.

Etwas zu großspurig hatte ich behauptet, der Weg durch Arnhem nach Otterlo sei gut ausgeschildert und kinderleicht zu finden. Aber dann fahre ich doch zu früh nach Norden aus der Stadt heraus, so dass wir einen unnötig steilen Berg hinauf in die Hoge Veluve fahren müssen, wo wir es weiter westlich doch wesentlich leichter gehabt hätten. Aber dafür entschädigt uns hier oben eine wunderschöne Heidelandschaft mit herrlichen Radwegen, die glatt asphaltiert sind und meist abseits der Straße in leichten Bögen um die Bäume herum geführt werden. Das Fahren ist, abgesehen von den wenigen holprigen Ortsdurchfahrten, ein Genuss.

Ab und zu warten die drei Cab-Biker kurz auf mich, wenn sich unser Abstand wieder einmal zu sehr vergrößert hat. Doch wir kommen rechtzeitig am Hotel „Monopole“ direkt am Strand von Harderwijk an, um noch zwei hervorragend eingerichtete Doppelzimmer zu bekommen. In einer ausgezeichneten Pizzeria mit beispielhaft freundlicher Bedienung haben wir nach einem schmackhaften Essen Gelegenheit, bei einem guten Bier die immer wieder neue Diskussion über die Vorzüge der Velomobile und ihre Missachtung durch Otto Normalverbraucher führen zu können.

Während German, mit dem ich das Hotelzimmer teile, noch große Wäsche macht, bin ich, mit den Ohrhörern meines Taschenradios in den Ohren, bereits auf dem Rücken eingeschlafen, in der einzigen Schlafposition, in der ich laut schnarche. German hätte mich nur kurz anzusprechen brauchen und sofort seine Ruhe gehabt. Aber, rücksichtsvoll, wie er nun einmal ist, hat er geduldig gewartet, bis auch ihn trotz meines „Konzerts“ der Schlaf übermannte.

4. Tag, Donnerstag, 27. Juni 2002

(Harderwijk-Dronten-Lelystad)

Beim Frühstück mit Blick auf die See genießen wir das schöne Wetter und lassen es uns so richtig gut gehen. Ohne Hast wird gepackt. Aber dann überfällt auf der Fahrt durch Flevoland nach Dronten meine drei Begleiter doch ein leichter Anflug von Rennfieber. Ich lasse sie davon ziehen, denn ich weiß, dass sie, sobald sie mich im Rückspiegel nicht mehr wahrnehmen, als eingespielte Tourenbegleiter auf mich warten werden. Nach etwa anderthalb Stunden landen wir an De Vliet 6 vor der Montagehalle für die „Quests“ und „Mangos“, die von der Firma Velomobiel.NL hergestellt werden (Bild 8).

Bild 8: Firma VELOMOBIEL.NL, wo „Quest“ und „Mango“ gebaut werden

Als wir ankommen, lässt gerade ein deutscher „Quest“-Besitzer, den ich in Leer bei den Deutschen HPV-Meisterschaften 2001 kennen lernte, einen kleinen Schadenan seinem Velomobil reparieren. Wir dürfen uns in aller Ruhe die Halle und die ausschließlich in Eigenleistungen erstellten Einbauten wie sanitäre Einrichtungen, Besprechungsraum, Ausstellungsraum usw. anschauen.

Allzu lange halten wir uns nicht auf, denn die Velomobiel.NL-Leute haben vor Beginn der Rennveranstaltung noch viel zu tun, wobei wir sie nicht stören wollen. Wir fahren ins Zentrum von Dronten und essen ein wenig zu Mittag. Dann geht es ein paar Straßen weiter zum Anwesen De Morinel 53, wo die Firma Flevobike von Johan Vrielink und gleich daneben die Firma Liegfits Shop Tempelman liegen (Bild 9). Bei Flevobike wurde neben anderen erfolgreichen Spezialrädern das „Alleweder“ entwickelt. Zur Zeit wird an der Velomobil-Plattform „Versatile“ gearbeitet, das anderen Herstellern als Grundlage für eigene Velomobil-Verkleidungen angeboten werden soll. Das „Versatile“ ist ein einteiliges Velomobil-Unterteil, das aus einem Gewebe „gebacken“ wird, das einen Schmelzfaden enthält. Das Gewebe wird in einem Ofen in die Aluminium-Form des „Versatile“ gelegt und mit Silicon-Kissen abgedeckt, so dass aus dem Zwischenraum zwischen Form und Silicon Luft abgesaugt werden kann. Dadurch legt sich das Gewebe eng an die Form an. Gleichzeitig wird der Ofen beheizt, so dass der Schmelzfaden im Gewebe schmilzt. Nach dem Abkühlen soll der Form ein Teil entnommen werden können, das auf beiden Seiten glatt ist.

Bild 9: Firma Flevobike von Johan Vrielink und links Tempelmans Liegfiets Shop

Des Firmeninhabers großes Ziel ist die Entstehung von Velo Nova, eines großen europäischen Zentrums für die Weiterentwicklung des Fahrrads. Eine Stiftung wurde gegründet, deren Dreh- und Angelpunkt die Firma Flevobike Technologie ist. Ziel ist, die Möglichkeiten von human power bei der Entwicklung von mit Muskelkraft betriebenen Fahrzeugen aller Art aufzuzeigen. Dabei sollen sowohl die Erziehung als auch die Selbsterfahrung berücksichtigt werden. Ein auf Dauer eingerichteter ökologischer Mobilitätspark soll zahllose Einrichtungen für Sport, Erholung, Tourismus, Erziehung und Forschung bieten.

Die beiden Studenten, die zur Zeit bei Flevobike Technologie Studienarbeiten anfertigen, befassen sich zum Beispiel mit der Entwicklung eines „Schwebefahrrads“, das an einer auf Ständern angehängten Schiene fahren soll. Dabei entsteht die Konstruktion keineswegs nur auf dem Papier bzw. am Computer. Ein Prototyp eines solchen Rads ist bereits im Bau. Auf einem großen Bild ist bereits eine Vision des angedachten Park dargestellt.

Bei der Firma Ligfiets Shop Tempelman werden Liegeräder der Firmen Alligt (Alleweder), Challenge, Hase, Nasca, Optima , M5, Rainbow und Sinner vertrieben. Aus eigener Herstellung kommen Flevobike, Flevotrike, Flevoracer und Limit hinzu.

Am Nachmittag rollt Germans Campingbus mit seiner Frau Rosanna, Ulla und Horst aufs Grundstück. Horst hat den Bus gefahren und sein selbst entwickeltes Elektrorad zu Demonstrationszwecken mitgebracht. Schade, dass es schon einen Tag später wegen Motorschadens ausfällt, denn es ist eine bemerkenswert innovative Maschine.

Die Cab-Biker beginnen sofort damit, ihre Normal-Hauben gegen die von Rosanna genähten Renn-Hauben auszutauschen und ich mache mich mit Ulla auf den Weg nach Lelystad. Sie hat ihr Faltrad Birdy mitgebracht, das ich nach einiger Zeit übernehme, weil uns der heftige Gegenwind einiges an Leistung abverlangt. Nur langsam kommen wir voran und verlieren uns obendrein auch noch in der Retortenstadt Lelystad auf der Suche nach dem Stadtteil Lelystad-Havn. Erst um zwanzig Uhr erreichen wir nach etlichen Erkundigungen unser Hotel „De lange Jammer“, zu spät für ein Abendessen, denn die Küche ist bereits geschlossen. Wir weichen in ein kleines Lokal direkt am Jachthafen, das ’t Dijkhuysje aus, das Ulla kurz zuvor schon besichtigt hatte, als sie die dortige Toilette benutzen durfte. Diesem sehr gemütliche Lokal bleiben wir während unserer ganzen Lelystad-Zeit treu.

„De lange Jammer“ stellt sich aber gleichfalls als sehr angenehm und obendrein preiswert heraus. Seine Gebäude sind die ersten Wohngebäude, die auf Flevoland entstanden, als dieses riesige Landgewinnungsprojekt um 1950 in Angriff genommen wurde und sie dienten damals den ersten Arbeitern und teilweise auch deren Familien als Unterkunft. Wir haben eine richtige kleine Wohnung für 55 € pro Nacht (ohne Frühstück), bestehend aus einer Art Wohnküche, einem Wohn-Schlafzimmer, einem großen Duschbad und einer separaten Toilette. Die Einrichtung dürfte aus etlichen Wohnungsauflösungen zusammengestoppelt worden sein. Beispiele für die gesamte Möbelentwicklung von den fünfziger bis in die achtziger Jahre lassen sich finden. Aber das ist uns egal. Viel wichtiger ist, dass die Heizung gut funktioniert, denn es beginnt, lausig kalt zu werden.

5. Tag, Freitag, 28. Juni 2002

(Mit der Eisenbahn nach Amsterdam)

Heute findet zwar ein HPV-Auftaktrennen in Dronten statt, ein 200-Meter-Dragrace (Rennen mit stehendem Start, bei dem die Beschleunigung das Wesentliche ist). Doch ich möchte nicht so nahe bei Amsterdam gewesen sein, ohne nicht wenigstens einen Tag dort verbracht zu haben und begleite Ulla, die ohnehin für heute Amsterdam eingeplant hatte.

Mit dem Bus fahren wir zum Bahnhof und von dort mit einem schnellen Vorortzug weiter zu unserem Ziel. Unterwegs halten wir auf der 50 Kilometer langen Fahrt nur zweimal in Almere, einer Vorstadt von Amsterdam auf Flevoland. Auch Almere scheint wie eine Stadt aus der Retorte und gleichzeitig wie ein riesiges Architekturprojekt, mit dem in 25 Jahren seit 1976, als sich die ersten Bewohner in Almere Havn niederließen, Wohnraum für 150.000 Einwohner geschaffen wurde . Der Stadtteil Almere Buiten, wo wir zum ersten Mal halten, grenzt an das große Naturschutzgebiet Oostvaardersplassen zwischen Lelystad und Almere. Unser zweiter Zwischenhalt ist Almere Stad mit dem Stadtzentrum.

In Amsterdam lassen wir uns in die Innenstadt treiben. Zuerst in die Kalverstraat, wo Ulla sogleich einen großen Buchladen mit einem riesigen Antiquariat entdeckt. Dann queren wir durch ein winzig schmales Verbindungsgässchen auf den Dam. Dort finden wir im Kaufhaus „Bijenkorf“ eine Windjacke für Ulla, die sie heute dringend braucht, denn es weht ein kalter Wind und im Verlauf des Tages wird es noch einige Regengüsse geben.

In der Nieuwekerk ist eine Mexico-Ausstellung, auf die mit großen Plakaten aufmerksam gemacht wird. Die wollen wir uns nicht entgehen lassen und werden nicht enttäuscht, denn uns erwartet eine wunderbar aufgebaute große Auswahl von Funden aus präkolumbianischer Zeit. Nach mehr als zwei Stunden wandern wir weiter Richtung Rijksmuseum. In einem wie ein großer Kirchenraum wirkenden Durchgang unter dem Museum singen und spielen mongolische Musiker. Die fremdartige Musik zieht viele Zuhörer in ihren Bann.

Am Ende des Durchgangs steht auf einem für ein Standbild bestimmten Sockel eine über und über goldene menschliche Figur. Plötzlich ändert sie ihre Haltung und steht erneut völlig starr. Ulla geht sofort hin und fragt , wer hier dargestellt werden soll. Doch so schnell gibt die Goldfigur keine Antwort, sondern fordert Ulla auf zu raten und ändert mehrfach schnell die Haltung, um ihr auf die Sprünge zu helfen. Es dauert aber eine ganze Weile, bis Ulla errät, dass es sich um eine Darstellung von Johann Strauß, dem Wiener Walzerkönig, handelt (Bild 10).

Bild 10: Lebende Statue am Rijksmuseum

Für den Nachmittag haben wir uns noch das Van Gogh Museum vorgenommen. Doch den gleichen Wunsch haben viele andere Amsterdam-Besucher ebenfalls. Obwohl zwei Kassen geöffnet sind, haben sich lange Menschenschlangen gebildet. Drinnen müssen wir uns erst einmal mit Kaffee stärken, bevor wir uns den Bildern Van Goghs widmen können, die so arrangiert sind, dass die Besucher seine malerische Entwicklung gut verfolgen können.

Den Rückweg zum Bahnhof legen wir im Zickzack zurück, um in der kurzen Zeit möglichst viel von der Amsterdamer Altstadt zu sehen. Ein beispiellos dichter Radverkehr, der die Leute schnell durch die Stadt kommen lässt. Aber gleichzeitig ein gigantischer Autoverkehr bis in die engsten Gässchen, die häufig sogar für Gegenverkehr zugelassen sind und in denen sich Stau und Gegenstau bilden, die sich oft nur durch Rückwärtsfahren mehrerer hintereinander stehender Fahrzeuge auflösen lassen. Die den hiesigen Straßenverhältnissen völlig unangemessene Autobenutzung ist eine drastische Demonstration der irrationalen Bindung des Autobesitzers an sein Auto, die nicht mit Nützlichkeitserwägungen, sondern nur mit wahrer Liebe zu erklären ist, sogar hier im Fahrradland Holland.

Als wir in Lelystad Havn müde aus dem Bus steigen, ist es ziemlich spät und die Küche im „Langen Jammer“ schon geschlossen, so dass wir sogleich unserem ’t Dijkhuysje zustreben, wo wir vor dem Eingang auf Reinhold und Joachim treffen, die für eine Nacht im „Langen Jammer“ Quartier gefunden und auf eine kalte Zeltnacht verzichtet haben. Beim gemeinsamen Abendessen erfahren wir, dass es beim heutigen Auftaktrennen geregnet hat und deshalb viele Hinterräder beim Dragrace durchgedreht sind. Gewonnen hat ein „Aufrechtfahrer“. What a pity!

Ulla und ich machen noch einen kurzen Spaziergang auf der Hafenmole. Dabei kommen wir an einer großen Motoryacht (Bild 11) vorbei, die von einem Mann geputzt wird. Auf Ullas Frage, ob ihm das schöne Schiff gehöre, lacht er laut und klärt uns dann darüber auf, dass der Hamburger Eigner morgen anreisen und samt Familie mit diesem Schiff zum Urlaub nach Südfrankreich in See stechen werde. Kurz vor Dunkelwerden läuft noch eine Zweimast-Tjalk, ein holländischer Plattbodensegler, in den Hafen ein (Bild 12).

Bild 11: Luxusyacht eines Hamburger Eigners

Bild 12: Eine holländische Tjalk

6. Tag, Samstag, 29. Juni 2002

(HPV-Europameisterschaft und Cycle Vision)

Joachim und Reinhold starten bereits in ihren „Flundern“ Richtung ANWB-Teststrecke (Algemene Nederlandse Wielsrijderb ond) südlich von Lelystad neben dem Flugplatz. Dort, auf einem Oval von 2,8 Kilometer Länge, werden heute und morgen die Rennen ausgetragen. Gleichzeitig findet die Cycle Vision 2002 in einem großen Zelt statt, wo Velomobil- und Liegeradhersteller ihre Produkte zeigen.

Ulla und ich treffen vor dem Büro des VVV (Vereniging voor Vreemdelingenverkeer) gegenüber dem Bahnhof von Lelystad Peter aus Bielefeld. Er ist ebenfalls mit seiner Leitra angereist, die er im Herbst 2001 gekauft hat. Unterwegs ist ihm ein Alu-Befestigungsbügel an der Vorderrad-Verkleidung gebrochen, einige Speichen im Hinterrad haben sich stark gelockert und zwei Vorderradspeichen sind gerissen. Es gibt also heute etwas zu tun. Mit Aluminiumstreben sollte man nichts befestigen, was im Betrieb schwingt, vor allem dann nicht, wenn man diese Bügel zur Anpassung vor der endgültigen Befestigung ein paar mal hin- und zurück biegen musste.

Zunächst schauen wir uns aber eine Zeit lang die 200-Meter-Rennen mit fliegendem Start an, bevor wir mit dem Ausbau des Hinterrads anfangen, in dessen Hochflanschfelge wir erst einmal nach den Nippeln der losen Speichen fahnden müssen. Peter erhält von der Firma Sinner die Zusage, bis morgen einen neuen Alu-Bügel in passender Länge gebohrt zu bekommen.

Unsere beiden Leitras sind die einzigen Velomobile dieses Typs bei dieser Veranstaltung und es gibt natürlich viele Leute, die sich dafür interessieren. Glücklicherweise sind Thomas mit seiner Freundin Susanne von unserem „Spezialrad-Stammtisch Groß-Gerau“, die kürzlich Gebraucht-Leitras gekauft haben, mit dem Auto nach hier gekommen. Thomas vertritt mich bei der Leitra-Vorführung und achtet darauf, dass die kleinen Probefahrten der Interessenten nicht in Geschwindigkeitstests ausarten. Außerdem ist Willi aus Mühlheim am Main mit seinem kleinen Sohn für einen Tag nach hier gekommen. Er interessiert sich schon lange für eine Leitra und wird demnächst mal in die Leitra-„Schmiede“ nach Ganløse bei Kopenhagen fahren, wo überlegt werden soll, wie die Lenkung der Leitra so modifiziert werden kann, dass Willi sie trotz seiner starker Behinderung bedienen kann. Auch er hilft mir sehr dadurch, dass er Fragen zur Leitra beantwortet, so dass ich gemeinsam mit Peter in Ruhe arbeiten kann.

Leider bieten solche „Unterwegs-Reparaturen“ keine Garantie für weiteres problemloses Fahren. So auch in diesem Fall. Denn zwei Tage später hatte Peter auf seiner Heimfahrt 15 Kilometer vor Dronten erneut eine Havarie. Zuerst brach ihm der Befestigungsbügel an der Verkleidung des anderen Vorderrads und kurz danach riss sich der rohrförmige (nicht zur Originalausstattung einer Leitra gehörende) Kettenschutz los und wickelte sich ums Ritzel, so dass die Kette riss. Glücklicherweise überholten ihn zwei Liegeradler, die ihn nach Dronten schleppten. Bei Flevobike half man ihm kostenlos, so dass er seine Fahrt fortsetzen und in insgesamt vier Tagen Bielefeld wieder erreichen konnte.

Nach dem Reparieren bekommen wir noch einiges vom Drei-Stunden-Rennen mit, bei dem mich am meisten der 63 Jahre alte Eggert Bülk beeindruckt, der mit seinem straßentauglichen Eigenbau-Einspurer 161,3 Kilometer schafft und insgesamt den fünften Platz belegt. Reinhold will sich mehr auf das morgige Ein-Stunden-Rennen konzentrieren und steigt nach einer Stunde aus, während German insgesamt 125,8 Kilometer zurücklegt und damit vor Joachim liegt. German erhält aber durch seine Frau Rosanna auch optimale Rennbetreuung.

Als ich abends am Hotel ankomme, wartet Ulla bereits auf mich. Im ’t Dijkhuysje sind alle Tische belegt, aber wir finden noch Platz neben zwei Schweden, die wie wir im „Langen Jammer“ wohnen. Sie befassen sich beruflich mit Radverkehr und sind der Information wegen zur Cycle Vision gekommen. Einer von ihnen ist mir schon früher bei einer HPV -Veranstaltung begegnet.

Für morgen hat der Wetterbericht eine deutliche Wetterverschlechterung voraus gesagt. Hoffentlich regnet es nicht während der Rennen.

7. Tag, Sonntag, 30. Juni 2002

(HPV-Europameisterschaft und Cycle Vision)

Trüb ist es heute und es weht ein ziemlich heftiger Westwind. Beim Frühstück herrscht drangvolle Enge, denn in Lelystad findet heute ein Beach-Volleyball-Turnier für Damen statt und einige Mannschaften haben im „Langen Jammer“ übernachtet. Wir setzen uns wieder an den Tisch zu den beiden Schweden. Der eine scheint nicht gut geschlafen zu haben. Nachdem er aus Versehen zunächst einen großen Pflanzkübel von einem Podest herunter gestoßen hat, fegt er kurz darauf einen vollen Becher Kaffe vom Tisch und sich selbst und mir über die Hose. Er meint trocken, dass es heute wohl nicht „sein Tag“ sei.

Ulla und ich wollen noch ein wenig von Lelystad sehen und fahren nach Batavia Stad, wo die Holländer wieder einmal ein gutes Beispiel für ihre Fähigkeit geliefert haben, Kultur und Geschäftssinn miteinander zu verbinden. Der durch hohe Bruchsteinmauern umschlossene Nachbau einer niederländischen Kolonialfestung des 17. Jahrhunderts beherbergt ein großes Factory Outlet Center (im Prospekt etwas vornehmer Outlet Shopping Village genannt) mit etwa 70 Läden in lauter einzelnen historisierten Holzhäusern, die von den verkaufenden Firmen angemietet wurden. Ein riesiger Parkplatz sorgt dafür, dass niemand auf die Idee kommen kann, hier würde ein restauriertes echt historisches Gemäuer stehen. Jedes Holzhaus steht für einen Markennamen aus der Konsumgüterindustrie. Rosenthal ist ebenso vertreten wie Adidas und Puma. Natürlich darf auch McDonalds nicht fehlen. Unmittelbar an diese Konsum-„Festung“ schließt sich eine Werft für historische Schiffe an, wo bei der Trockenlegung von Teilen der Zuiderzee gefundene Schiffswracks konserviert und aufbewahrt werden. Dort ist auch der exakte Nachbau des Flaggschiffs von Großadmiral Michiel de Ruyter (1607-1676), „De Zeven Provinciën“, im Rohbau zu sehen. De Rruyter hat in allen drei englisch-niederländischen Kriegen (1652-1654), (1664-1667) und (1672-1678), zunächst als Kapitän, dann als Vizeadmiral und zuletzt als Großadmiral der niederländischen Flotte gekämpft und wurde1676 in einer Schlacht gegen die französische Flotte vor Sizilien tödlich verwundet. Er gehörte wohl zu den fähigsten Admiralen seiner Zeit. Kein Wunder, dass man sein Flaggschiff als Rekonstruktion wieder entstehen lassen will.

Im Wasser schwimmt die „Batavia“ (Bild 13), ein detailgetreuer Nachbau des 1628 für die VOC (Verenigde Oostindische C ompagnie) gebauten Originals, das bereits bei seiner ersten Reise im Juni 1629 vor der australischen Küste strandete. Das Wrack wurde gehoben und wird im West-Australian Maritime Museum aufbewahrt. Der Nachbau, 1985 beschlossen, wurde 1995 fertig und unternahm im Jahr 2000 eine Reise nach Australien. Holland lässt seine große Vergangenheit zur See nicht so leicht in Vergessenheit geraten.

Bild 13: Nachbau des VOC-Seglers „Batavia“ von 1628

Dritte Attraktion an diesem Ort ist das Nieuw Land Poldermuseum. Es dokumentiert den Kampf der Niederländer gegen die See durch den Bau von Deichen und Anlegeplätzen sowie die Landgewinnung durch Einpolderung. Bemerkenswert ist, dass die Gewinnung des neuen Landes das älteste erhaltene menschliche Skelett Westeuropas zu Tage brachte, das etwa 6000 Jahre alte berühmte Skelett von Swifterband nordwestlich von Dronten.

Ulla will sich für Batavia Stad noch etwas Zeit nehmen, bevor sie mit ihrem Birdy in einen Naturpark in der Nähe vom Flugplatz fahren wird. Ich starte schon jetzt in diese Richtung, auf gut beschilderten Radwegen abseits der Straßen quer durch Lelystad. Als ich an der Rennstrecke ankomme, ist das Ein-Stunden-Rennen schon vorüber, bei dem Reinhold zwei Runden vor German das Ziel erreichte, ihm also etwa 5,6 Kilometer „abgenommen“ hat.

Ich treffe Peter vor dem Zelt der Cycle Vision, wo ich mir den Stand angeschaut habe, mit dem die Stiftung Velo Nova für ihr großes Projekt wirbt. Unter der Ausstellung Cycle Vision habe ich mir eigentlich eine wesentlich umfassendere Ausstellung vorgestellt. Mit dem Umfang der SPEZ 2002 in Germersheim ist das hier nicht zu vergleichen.

Am Nachmittag finden die Criterien der unverkleideten Liegeräder sowie die der Velomobile statt. Eigentlich hatten sich auch die Cab-Biker hierfür angemeldet. Doch da sie morgen früh die Heimreise antreten wollen und ihre Velomobile wieder umbauen und in den alltagstauglichen Zustand versetzen müssen, rollen sie schon früher zurück nach Dronten. Ulla und ich fahren kurz darauf ab nach Lelystad Havn und begeben uns zu unserem Abschiedsessen ins ’t Dijkhuysje.

8. Tag, Montag, 1. Juli 2002 (209 km mit 20,8 km/h durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit)

(Lelystad-Harderwijk-Speuld-Garderen-Stroe-Harskamp-Otterlo-Arnhem-Westvoort-Duiven-Zevenaar-Elten-Emmerich -Grieth-Niedermörmter-Obermörmter-Vynen-Xanten-Rheinberg-Moers-Niep-Hüls-Willich-Schiefbahn)

Gepackt haben wir schon gestern Abend. Deshalb sitzen wir bereits mit den ersten Gästen am Frühstückstisch. Danach geht es los (Bild 14).

Bild 14: Startklar zur Heimfahrt. Abschied vom „Langen Jammer“

Bis zum Bahnhof fahren Ulla und ich gemeinsam. Dort wollen Horst und Rosanna sie um neun Uhr abholen. Ich will aber nicht so lange warten und fahre (zum Glück) schon los in Richtung Harderwijk. „Zum Glück“ deshalb, weil German sich heute morgen zu krank für eine Cab-Bike-Heimfahrt gefühlt hat und deshalb sein Velomobil noch mit auf den Camping -Bus geladen werden musste, wodurch sich die Abfahrt erheblich verzögert hatte. Das erfahre ich am Abend per Telefon. Da waren Reinhold und Joachim ebenfalls bereits in Gießen angekommen, denn nach etwa fünfzig Kilometer Fahrt mit ihren Cab-Bikes hatte auch Reinholds Gesundheit gestreikt, worauf die beiden mit Nahverkehrszügen und etlichen Umstiegen nach Gießen gefahren waren.

In Harderwijk muss ich nicht zum ersten Mal erfahren, dass man eine Stadt noch lange nicht kennt, wenn man sie erst einmal durchquert hat. Ich verfahre mich gründlich, bevor ich die Straße in Richtung Hoge Veluwe finde. Der Wind bläst mich kräftig im spitzen Winkel von vorn an, so dass ich mich ein wenig anstrengen muss.

Vor Otterlo verlasse ich mich auf einen der roten Fahrradwegweiser und befinde mich wenig später auf einem sehr schmalen geteerten Streifen am Rande eines Sandwegs. Im Schritttempo komme ich vorwärts, zum Glück aber nur höchstens zwei Kilometer weit, bevor ich die Straße wieder erreiche. Montags ist in Otterlo nichts los. Das weltberühmte Kröller-Müller-Museum ist gesclossen. Nur ein paar Wanderer im Regenumhang kommen mir entgegen. Es hat nämlich inzwischen angefangen zu regnen.

Etwa zwei Kilometer hinter Otterlo, kurz vor dem winzigen Ort Oud Reemst, hat ein Liegeradfahrer auf seiner Heimfahrt aus Lelystad platt gefahren. Er hat schon sein Vorderrad ausgebaut, macht aber in aller Ruhe erst einmal Frühstück im Regen und braucht keine Hilfe. Zum Glück ist hier ein einigermaßen dichter Wald, der (noch) den Regen abzuhalten scheint. Doch bei der Abfahrt hinunter nach Arnhem regnet es bereits so heftig, dass auch der Liegeradler wohl bald versucht haben dürfte, den Platten zu flicken, um weiter zu kommen.

Diesmal habe ich die richtige Route für die Durchquerung von Arnhem erwischt. Ohne Verzögerung bin ich schon bald durchs Zentrum hindurch und auf dem Weg nach Zevenaar. Ich verlasse mich auf die rote Markierung für Radfahrer und erwische bis Zevenaar einen breiten und glatten Asphaltweg direkt auf der südlichen Seite der Eisenbahnstrecke nach Emmerich, viel besser zu fahren als die Ortsdurchfahrten auf dem Hinweg. Ein Liegeradler versucht, mich abzuhängen, was ihm jedoch nicht gelingt, obwohl er ohne Gepäck fährt.

In Elten gibt es diesmal keinen Halt. Der Regen ist immer stärker geworden und zwingt mich an der Auffahrt zur Rheinbrücke bei Emmerich, den Scheibenwischer zu betätigen, wenn ich die Wegmarkierungen schon aus einiger Entfernung erkennen will. Um diese Zeit scheint Schulschluss zu sein. Drei Schülerinnen fahren vor mir über die Brücke und lassen in stoischer Ruhe den Regen auf sich herab prasseln (Bild 15). Ich verkneife mir sogar das Aussteigen, um mir etwas zum Essen aus der Packtasche holen zu können, sondern lasse mir Zeit, bis ich kurz vor Grieth ein Bus-Wartehäuschen sehe, unter dessen Dach ich rückwärts fahren und, ohne nass zu werden, meine Haube öffnen kann.

Bild 15: Schwerer Regen auf der Rheinbrücke bei Emmerich

Erst vor Moers lässt der Regen nach. Es ist noch zu früh, um die heutige Etappe abzuschließen und ich fühle mich auch noch relativ frisch. Diesmal habe ich bei Krefeld keine Orientierungsprobleme und erwische genau die Strecke, die ich mir vor der Hinfahrt bereits in meiner Karte eingezeichnet, aber dann doch verloren hatte. Als ich aber Willich hinter mir habe, wird es langsam Zeit zum Abendessen. In Schiefbahn frage ich einen Jogger nach einem Hotel und erhalte einen durchaus befriedigenden Hinweis. Man hat heute, an einem Montag, nur wenige Zimmer belegt, Preis und Zimmerqualität lassen nichts zu wünschen übrig und das Abendessen schmeckt gut.

Nach dem Essen mache ich zur Lockerung einen kleinen Spaziergang und versuche, Ulla anzurufen. Nach dem vierten Versuch gebe ich auf. Jedes Mal besetzt. Also muss German mit seinem Handy dran glauben. Von ihm erfahre ich das, was ich oben bereits berichtet habe.

9. Tag, Dienstag, 2. Juli 2002 (284 km mit 20,5 km/h durchschnittlicher Fahrgeschwindigkeit)

(Schiefbahn-Kleinenbroich-Glehn-Schloss Dyck-Bedburdyck-Gustorf-Gindorf-Frimmersdorf-Neurath-Niederaußem -Quadrath Ichendorf-Horrem-Weilerswist-Heimerzheim-Meckenheim-Fritzdorf-Gimmingen-Heimersheim-Sinzig-Koblenz-Bingen-Mainz-Königstädten)

Um 8.15 Uhr sitze ich schon in meiner Leitra und kann los fahren. Bei leicht seitlich von vorn kommendem Wind, angenehmer Temperatur und häufigem Sonnenschein habe ich beste Aussichten, heute bis nach Hause zu kommen. Allerdings muss ich darauf achten, dass ich viel esse und trinke. Da ich die Strecke kenne, werde ich wohl nirgends Lust haben, eine längere Pause einzulegen.

Vor Frimmersdorf werde ich aber doch durch ein Hinweisschild verleitet, einen Abstecher zum Aussichtspunkt auf den Tagebau Garzweiler I zu machen, wo ich anlässlich einer Exkursion zum Kraftwerk Neurath am 12. November 1997 mit Studenten war. Ich kehre jedoch nach mehr als einem Kilometer bergauf und ohne weiteren Hinweis auf diesen Aussichtspunkt unverrichteter Dinge wieder um. War wohl gut so, denn der Tagebau ist inzwischen von diesem Punkt nicht mehr einzusehen, wie ich später erfahre.

In Horrem kaufe ich mit vier großen belegten Brötchen der Verkäuferin in einem Bäckerladen ihren ganzen Vorrat ab und veranlasse sie zu der Frage, ob ich das alles allein essen wolle. Gleich danach fange ich mit dem Thunfisch-Brötchen an. Auch für Trinkwasser-Nachschub habe ich schon frühzeitig gesorgt.

Die Strecke bis zur Abfahrt ins Ahrtal, die bei Fritzdorf beginnt, zieht sich ganz schön hin. Kurz vor Bad Breisig, also schon am Rhein, mache ich mal eine halbe Stunde Pause. Hier bin ich schon beim vierten Brötchen, brauche also Nachschub. Deshalb geht es in Bad Breisig noch einmal zum Bäcker und ich lade drei Brötchen nach.

In Brohl umfahre ich die Bahnunterführung und öffne mir auch selbst die kurz danach beginnende bereits oben erwähnte Baustellenabsperrung, die den Radweg über Gebühr einengt. Na, wer sagt es denn, warum soll man es sich schwer machen, wenn es auch leichter geht! Die Polizei hätte sicher etwas gegen dieses eigenmächtige Handeln gehabt.

Warum ich in Andernach nicht den üblichen Weg am Rhein entlang fahre, weiß ich selbst nicht. Ich hätte mir damit einen längeren Umweg mit einigen zwar kurzen, aber unnötigen Schleifen erspart. Oberhalb des Rheinuferwegs fahre ich ab Weißenthurm bis Koblenz durch die Dörfer, die hier wie Perlen an einer Schnur aufgereiht sind: Weißenthurm, Urmitz, Kesselheim, Wallersheim und Neuendorf.

In Koblenz begegnet mir auf der Rheinpromenade wieder ein Fahrrad-Taxi. Es ist besetzt. Das Geschäft scheint sich zu bessern. In Rhens wieder ein kurzer Halt. Der Wasservorrat wird mit originalem Rhenser Sprudel aufgefüllt. Leider anschließend eine Baustelle, die ich nur mit Schieben bewältigen kann. Doch danach habe ich wieder freie Bahn.

Ab Bacharach lasse ich den Radweg wieder links liegen und fahre auf der B9 bis Bingen. Neun Uhr ist es inzwischen geworden und die Dämmerung beginnt sich abzuzeichnen. Doch auf dem ganzen Weg durch die Ingelheimer Au schalte ich das Licht noch nicht ein. Erst in Budenheim, wo ich mein letztes Brötchen in den Mund schiebe, geht es nicht mehr ohne Licht. Fast kein Verkehr auf der Straße um diese Zeit an einem Werktag. Im seitlich ins Innere der Haube abgestrahlten Licht des Frontscheinwerfers kann ich gut erkennen, wie meine Beine stetig wie ein Motor die Leitra voran treiben.

In Mainz wird es noch einmal ein wenig langsamer, weil der Radweg keine höhere Geschwindigkeit zulässt. Doch ab Gustavsburg kann ich wieder mein normales Tempo fahren und bin, als ich um 23.45 Uhr Ulla mit meiner vorzeitigen Ankunft überrasche, nicht übermäßig erschöpft.

Mein Kilometerzähler zeigt an, dass ich insgesamt 1109 Kilometer gefahren bin. Das heißt, dass in den Tagen, die ich in Lelystad verbracht habe, allein im Stadtverkehr 151 Kilometer zusammen gekommen sind. Die Leitra hat wieder einmal bei Sonne und Regen, sowohl beim Überlandfahren als auch im Stadtverkehr, ihre Zuverlässigkeit bewiesen.